Die Gründung eines Gesangvereins kann man nicht einfach anordnen. Es müssen zumindest Personen da sein, die singen können und auch wollen, es muss ein Proberaum vorhanden sein und man bracht vor allem auch einen Chorleiter. Ende der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts war in Saalstadt die Zeit für einen Gesangverein im obigen Sinne reif geworden: im Dorf schien es genügend sangeswillige Männer zu geben (die Gründung eines gemischten Chores wurde vermutlich nicht in Erwägung gezogen), als Proberaum stand der Schulsaal zur Verfügung und seit November 1878 gab es in Person des Lehrers Adam Greilach jemanden, der gewillt und in der Lage war, einen Chor zu dirigieren. So kam es zwei Monate später, am 12. Januar 1879, bereits zur Gründung unseres Vereins. „Der alleinige Zweck des Vereins ist Ausbildung des vierstimmigen Männergesangs und gesellige Unterhaltung“, heißt es im §1 der Vereinsstatuten. Aus den Paragraphen 6 und 7 kann man ersehen, dass genügend Interesse am Chor bestand: „Jeder solide Mann über 16 Jahren kann sich zur Aufnahme in den Verein schriftlich anmelden. Die Aufnahme geschieht durch Stimmenmehrheit des Vereins. … Wer ohne genügende Entschuldigung an den Proben nicht beiwohnt verfällt in Strafe. Öfteres unbegründetes Ausbleiben zieht den Ausschluss aus dem Verein nach sich.“
Die Anfänge waren sicherlich spannend. So gab es nicht die Möglichkeit, nach fertigen, gekauften Partituren zu singen. Für die Sänger wurden Chorbücher angeschafft, in die die einzelnen Lieder geschrieben wurden. Daneben wurde ein gesondertes Partiturenbuch für den Dirigenten angelegt. Diese Bücher mit Ursprung im Jahr 1879 (Franz Schuberts „Der Lindenbaum“) mit insgesamt 58 Liedern sind heute noch im Vereinsbesitz. Neben zahlreichen vaterländischen Liedern findet man Lieder zum Frühling („Unsre Wiesen grünen wieder“), zur Jagd, Trauergesänge („Lebe wohl! Teure Seele lebe wohl“), Volkslieder („In einem kühlen Grunde“, „Mein Vater war ein Wandersmann“) und andere bekannte Lieder („Loreley“, „Schon die Abendglocken klangen“, „Ubi bene, ibi patria“, „Nun leb wohl, du kleine Gasse“, „Heideröslein“, „Es zogen drei Burschen wohl über den Rhein“, „Das ist der Tag des Herrn“). Mehrere Zeitangaben an den Liedern belegen den Fleiß der Anfangsjahre: Obwohl nur im Winter gesungen wurde, konnte Lied Nr. 53 („Wo ein kleins Hüttle steht“) bereits am 6. Juni 1888 aufgeschrieben und vermutlich auch einstudiert werden.
Was die Sänger damals auf sich nahmen, können wir heute kaum noch ermessen. An der Ortsstraße standen fünf, ab 1881 acht Petroleumlampen, es gab kein elektrisches Licht (erst 1924 erhielt Saalstadt ein elektrisches Ortsnetz), für die Singstunden musste der Schulsaal eigens wieder geheizt werden. Aber die Freude am Singen und der Wunsch nach Geselligkeit sorgten zunächst für Kontinuität im Verein.
Dennoch gab es um 1890 wohl eine etwas erlahmende Vereinsaktivität. Im 1891 neu angelegten Protokollbuch sind Maßnahmen nachzulesen, die „dem Gesangvereine wieder mehr Leben geben“ sollten. Immerhin unterschreiben 41 Mitglieder das Protokoll. Im selben Jahr wurde die Vereinsfahne angeschafft und geweiht. Sie stellt das sichtbare Zeichen der Zusammengehörigkeit der Sänger im Verein dar. Andere Aktivitäten trugen das Ihre zum Vereinsleben bei: In der Gemeindechronik des Lehrers Thom ist festgehalten, dass „alljährlich eine gemütliche Unterhaltung“ durchgeführt wurde und dass Ausflüge zum Trifels und ans Niederwald-Denkmal unternommen wurden. Auch innerhalb der Gemeinde sind erste Auftritte zu belegen, etwa die Teilnahme am 27. Januar 1892 an der Kaiserfeier des Kriegervereins Saalstadt.
Aus den Jahren vor, während und nach dem ersten Weltkrieg sind kaum Informationen überliefert.
Am 13. und 14. Juli 1929 feierte das ganze Dorf zusammen mit dem Gesangverein das 50-jährige Vereinsbestehen. Im Protokollbuch ist ein Bericht über den Verlauf der Festtage begonnen, aber leider nicht beendet worden. Darin heißt es unter anderem:
„Mit welcher Hingabe gearbeitet wurde, um dem Feste einen würdigen Verlauf zu geben, das zeigte schon das ganze Straßenbild am Nachmittag des 13. Julis. Stellte man sich an den Osteingang des Ortes und blickte die Hauptstraße hinunter, musste einem da nicht das Herz höher schlagen? … Ein jedes Haus hatte sein Festgewand angezogen, geschmückt mit Tannengrün, zahllose Fahnen flatterten im Winde … Auch der Wettergott hatte meinte es gut mit uns, strahlte doch der Himmel im tiefsten Blau. …
… Auch unserer toten Helden und Sangesbrüdern wurde gedacht, zahlreiche Kränze schmückten das Denkmal, zu beiden Seiten desselben je eine Fahne in den bayerischen Farben mit Trauerwimpel.
Abends 7 ½ Uhr stellte sich am Westeingang des Dorfes ein Trauerzug auf, an dem die ganze Bevölkerung teilnahm. Ebenfalls Männergesang-Verein Herschberg und Männerquartett Nußdorf. … Am Denkmal wurde Halt gemacht, was Platz fand, begab sich innerhalb der Einfriedung. Der Männergesangverein Saalstadt leitete die Feier mit einem Chor ein.“
Gerade in einem Männerchor eines kleinen Dorfes wie Saalstadt wurde es im Verlauf des Krieges im schwieriger, noch genügend Sänger zu haben, die wenigstens den Trauergesang am Grab noch ermöglichen konnten. Am 1. Januar 1943 waren 30 Sänger im Krieg, drei von ihnen waren bereits gefallen. So entschied man sich am 17. Februar 1943, besonders auf Betreiben des Chorleiters Karl Weis I., einen gemischten Chor zu bilden. Dieser bestand noch bis zum Tod von Karl Weis im Jahr 1953.
Nach Kriegsende trauerte der MGV Saalstadt um 15 gefallene oder vermisste Sänger, die anderen kamen erst nach und nach aus der Gefangenschaft zurück. Am 13. April 1949 war es dann soweit: der Gesangverein Saalstadt wurde zum zweiten Mal gegründet. Es waren dazu bestimmte Auflagen zu erfüllen: Mindestens sieben politisch unbescholtene künftige Mitglieder mussten in deutscher und französischer Sprache ein Gesuch einreichen, der Dirigent musste angegeben werden und bestimmte Fragen bestehen, die Satzung des Vereins war in zwei Sprachen beizufügen. Nach Ende der Gründungsversammlung wurde mit der Einübung von Mozarts „Brüder, reicht die Hand zum Bunde“ begonnen.
Die französische Besatzungsbehörde gab eine vorläufige Genehmigung, die endgültige folgte am 23. Dezember 1949.
Ein erster Höhepunkt in der Vereinsgeschichte nach dem Krieg war sicherlich das 75-jährige Sängerfest, das am 4. Juli 1954 gefeiert wurde. Junge Sänger schlossen sich an, die Geselligkeit stand im Mittelpunkt des Vereinslebens: jährlich wurde Theater gespielt (mindestens acht Theaterstücke sind heute noch in Erinnerung) und Ausflüge über die Grenzen der Pfalz hinaus waren sehr beliebt. So ging es an Mosel und Rhein, nach Baden-Baden Speyer, Heidelberg, Schwetzingen, ins Elsaß, in den Taunus und nach Luxemburg.
Begünstigt durch die größere Mobilität der Vereine, wurden immer mehr Sängerfeste in Form großer Zeltveranstaltungen abgehalten. So kam es schon vor, dass im Laufe eines Jahres sieben oder acht Vereine zu deren Jubiläen oder Feierlichkeiten besucht wurden. Deswegen war es nur selbstverständlich, dass auch bei uns in Saalstadt das 85-jährige Jubiläum, das 90-jährige und natürlich das 100-jährige und auch noch das 105- und das 110-jährige Vereinsbestehen aufwendig gefeiert wurde. 1964 vertraute man zurecht auf Petrus und hielt das fest im Grasgarten von Herrn Willi Schneider ab, das 90-jährige Bestehen wurde mit 26 Gastchören in und an der neu erbauten Festhalle gefeiert.
Sein 100-jähriges Jubiläum beging unser Chor an zwei Terminen: An einem ersten Festabend, genau am Geburtstag 12. Januar, stand in konzertanter Form die Vereinsgeschichte anhand der Lieder aus den verschiedenen Jahrzehnten im Mittelpunkt. An zwei weiteren Wochenenden im Juli feierte der MGV Saalstadt schließlich sein 100-jähriges Jubiläum in der großen Maschinen- und Lagerhalle von Herrn Emil Woll. An fünf Festtagen kamen insgesamt 53 Gastchöre nach Saalstadt. Die Verleihung der Zelter-Plakette im März 1979, unterschrieben von Bundespräsident Walter Scheel und überreicht durch die rheinland-pfälzische Kultusministerin Dr. Hanna Renate Laurien, war die größte Ehrung in der Vereinsgeschichte.
Schon von jeher war unser Chor innerhalb der Gemeinde zu besonderen öffentlichen Anlässen präsent. Sei es am Volkstrauertag, bei der Umrahmung der seit den sechziger Jahren üblichen Altennachmittagen, bei den Weihnachtsfeiern oder auf dem Friedhof beim Trauergesang, der MGV war stets eine feste Größe. In den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts kam eine kam eine weitere Möglichkeit hinzu, sich selbst und die musikalischen Möglichkeiten darzustellen: die neue Saalstadter Festhalle bot den Raum für Liederabende und Konzerte.
Gerne erinnern wir uns an die verschiedenen Abende in der vollbesetzten Festhalle. Sie standen jeweils unter einem Motto, zur Unterstützung war oft eine Nachbarchor oder eine Musikgruppe mit eingeladen. Die Themen waren beispielsweise: „Freunde, vernehmet die Geschichte“(1975); „Auf Freunde, lasst das Jahr uns singen“ (1979); „Musik kennt keine Grenzen“ (1981); „Musik im Rhythmus unserer Zeit“ (1983); „Singend sei dein Tag begonnen“ (1986); „Melodien zum Verlieben“ (1988).
Gegen Ende der 1980er Jahre trat eine beachtliche Zahl von Saalstadter Landfrauen bei einer überörtlichen Veranstaltung als Singgruppe auf. Das war die Keimzelle unseres Frauenchors und unseres Gemischten Chors. Nicht alle Sänger im damaligen Männerchor waren von dieser neuen Richtung überzeugt. Heute weiß ein jeder, dass es eine gute Entscheidung war. Vor allem die beharrliche Arbeit unseres damaligen Chorleiters, Herrn Helmut Woll, hat entscheidend zur Gründung dieser Chorgruppen im Jahr 1990 beigetragen.
Im Jahr 2000 wurde unter unserem Chorleiter Michael Marz der „Junge Chor“ gegründet. Es war ein weiterer Schritt, unseren Verein attraktiv und zukunftsfähig zu machen. Mit zeitgemäßer Musikauswahl sprechen wir insbesondere jüngere Sängerinnen und Sänger an. Sie kommen über Saalstadts Grenzen hinaus von vielen Orten der Sickingerhöhe. Darüber freuen wir uns besonders.
Was in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts begann, ist zu einer festen Größe in unserem Vereinsleben geworden: Unsere jährlichen Konzerte erfreuen sich bei uns Sängerinnen und Sängern und bei unseren Besuchern einer immer größeren Beliebtheit. Michael Marz, Chorleiter seit 1998, setzte anfangs mit kirchenmusikalischen Konzerten einen weiteren Akzent in unserem musikalischen Wirken: „Jubilate Deo“ (1999), „Veni Emmanuel“ (2000), „Te Deum“ (2003), „Cantate“ (2004), „Die Hirten bey der Krippe zu Bethlehem“ (2004, Jubiläumskonzert zum 125-jährigen Vereinsbestehen), „Gloria in excelsis Deo“ (2005).
Ab 2009 wandelte sich unsere Chorarbeit erneut. Themenkonzerte, zuweilen bewusst „spannungsgeladen“ mit zeitgemäßer und traditioneller Liedauswahl, setzten unsere Arbeit fort. „Schöne Nacht ... and the world went away“ (2009), “Linger awhile, ... in einem kühlen Grunde“ (2010), „Hoch lebe die Freude“ (2011, Jubiläumskonzert 600 Jahre Saalstadt).
Auch unter unserer jetzigen Chorleiterin Selina Baas überzeugen wir mit immer wieder neuen Konzertthemen unsere Gäste: „Komm, Geselle mein ... Love is all you need“ (2012), „James Bond ... ich brech' die Herzen der stolzesten Frau’n“ (2013), „Meinungsverschiedenheit? – Man muss die Sache anders, ganz anders sehn“ (2014), „Si ya hanba! – annerschwo is annersch“ (2015).
Wir freuen uns auf die Fortsetzung(en).